
Der Psychiater und Holocaust-Überlebende Viktor Frankl prägte einst den Begriff der paradoxen Intention. Damit beschrieb er ein psychologisches Phänomen, das wir alle kennen: Wer etwas um jeden Preis vermeiden will, ruft es gerade dadurch hervor.
Ein klassisches Beispiel:
„Denk nicht an einen rosa Elefanten!“
Und – schon ist er da.
Je mehr wir versuchen, etwas zu unterdrücken, desto stärker wird es. Unsere Aufmerksamkeit lenkt es unwillkürlich dorthin, wohin sie gerade nicht gehen soll.
Frankl nutzte dieses Prinzip therapeutisch – um Menschen zu helfen, Ängste und Zwänge zu lösen. Sein Gedanke lässt sich jedoch auch auf unsere heutige Psychologie und Sprache übertragen.
Wenn Bemühung zu Anspannung wird
In unserer Zeit wollen viele Menschen richtig sprechen. Niemand will verletzen, ausschließen oder diskriminieren. Das ist ein gutes, menschliches Anliegen. Doch manchmal kippt diese Bemühung in das Gegenteil: Aus dem Wunsch nach Inklusion entsteht neue Distanz.
Beispiele dafür begegnen uns täglich:
„Liebe Leserinnen und liebe Leser“ – klingt zunächst wertschätzend. Doch wer genauer hinsieht, merkt: Alle anderen Geschlechtsidentitäten bleiben außen vor. Das vermeintlich inklusive Sprechen wird zum sprachlichen Drahtseilakt. Dabei war das ursprüngliche generische Maskulinum „Liebe Leser“ sprachlich so gedacht, dass es alle Menschen mitmeint.
Ein anderes Beispiel:
Manche Menschen trauen sich heute kaum noch, eine harmlose Frage zu stellen wie:
„Woher kommst du?“
Aus Angst vor Fehlern oder Missverständnissen oder es könnte sich jemand ausgegrenzt fühlen. Dabei kann genau diese Frage Ausdruck von ehrlichem Interesse und Neugier sein – etwas, das eigentlich verbindet.
Ehrlichkeit statt Angst
Frankls Gedanke der paradoxen Intention zeigt uns: Wenn wir uns zu sehr anstrengen, um Fehler zu vermeiden, entsteht übermäßige Kontrolle – und wir verlieren die Leichtigkeit, die natürliche authentische Kommunikation ermöglicht. Sprache, die aus Angst entsteht, klingt verkrampft. Sprache, die aus Ehrlichkeit kommt, wirkt menschlich und verbindet.
Vielleicht wäre es an der Zeit, weniger „korrekt“ und wieder mehr authentisch zu sprechen. Nicht, um Respekt aufzugeben – sondern um ihn wirklich zu leben. Denn echte Achtung zeigt sich nicht in perfekten Formulierungen, sondern in Echtheit und Respekt, in Aufmerksamkeit und echtem Zuhören.
Frankls Botschaft für heute
Viktor Frankl wollte Menschen ermutigen, das Leben – trotz Leid und Unsicherheit – mit Sinn und Haltung zu gestalten. Übertragen auf unsere Zeit heißt das:
Hören wir auf, aus Angst alles „richtig“ machen zu wollen.
Sprechen wir wieder ehrlich, respektvoll und menschlich.
Dann wird Sprache wieder das, was sie sein sollte:
Ein Mittel der Verbindung, nicht der Trennung. 💬💕

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